Geschichte von Wilhelm‑Geigenbau
von 1962 bis heute
Eigentlich begann es 1951 mit einem Kuss bei Sonnenaufgang: Die beiden Geigenbauschüler Brigitte und Rolf waren durch die Nacht aufs Rothorn gewandert und gaben sich dort den ersten Kuss.
Ihre Leben und ihre Energien waren ab dann eng verbunden. Nach Abschluss der Geigenbauschule fand Rolf seine erste Anstellung bei Dolmetsch in Haslemere (GB). Brigitte kam ein Jahr später nach.
Rolf baute Gamben und Lauten, Brigitte schnitzte gelegentlich die Rosetten. Die beiden wohnten in einem Jagdhäuschen im Wald und lebten dort ganz in der Natur und Abgeschiedenheit. Claudia und Mark kamen dort zur Welt. Über Riehen bei Basel, wo Rolf bei Fritz Baumgartner arbeitete, kam die junge Familie 1962 nach Suhr und gründete das Geschäft.
1962 wurde das Geschäft gegründet
Ein ehemaliger Stall im grossen Haus wurde zur Werkstatt umgebaut. In der ersten Zeit baute Rolf für eine internationale Kundschaft Gamben und Lauten. Ingesamt entstanden über 80 historische Instrumente.
70'er Jahre
Brigitte war oft in der Werkstatt. Die Kundenbetreuung war hauptsächlich ihr Bereich. Rolf und Brigitte bauten das Geschäft mit grossem Fleiss und Hingabe auf.
In diesen boomenden Jahren wurden in fast jeder Gemeinde Musikschulen gegründet. So konnten viele Kinderinstrumente verkauft werden, teils an die Familien und oft auch an die Schulen.
Der Unterhalt der modernenen Streichinstrumente wurde zum neuen Standbein. Daniel Heer, der erste Mitarbeiter, wurde zur unentbehrlichen Hilfe.
80'er Jahre
Der Handel wurde immer wichtiger. Daneben wuchs das Mietwesen stetig. Die Kinder Claudia und Mark begannen ihre Ausbildungen zum Geigenbauer. Mark kam nach einer Gesellenzeit in Berlin 1987 zurück ins elterliche Geschäft und übernahm schrittweise die Geschäftsleitung.
90'er Jahre
Das Team wächst, Claudia Mössinger-Wilhelm kommt ins Team. Sie macht sich später in Glarus selbstständig. Patricia Rockenbauer aus Basel, die dann 20 Jahre mitarbeiten wird, begleitet die Entwicklung über Jahre.
1993 hat der Computer Einzug gehalten. Die Fotografie wurde professionalisiert. Raum- und Einrichtungswünsche wurden angemeldet - etwas erschöpft von so viel Entwicklung traten die Geschäftsgründer 1996 in den Ruhestand.
00'er Jahre
2001 kommt Philipp Ihle mit seiner jugendlichen Lebensenergie zu uns. Philipp hat dem Neubau in Suhr wieder einen Platz erkämpft. Nach 5 Jahren wechselt er zu Florian Leonhard nach London und kommt 2011 nochmals für zwei Jahre zu uns. Wir haben Philipp viele wichtige Impulse zu verdanken. Er hat auch seinen besten Freund Boris Haug in den Laden gebracht.
2002: Das 40-Jahr-Jubiläum wurde richtig gross gefeiert. Die Lust auf eine stärkere kulturelle Vernetzung war geweckt. Aber die Räume wurden zu eng, ein erster Umbau, dann eine weitere Werkstätte im Obergeschoss schufen den Platz für das weitere Wachstum.
Anfang 2003 starb Rolf. Seit seiner Pensionierung hatte er statt dem Schnitzmesser den Aquarellpinsel in der Hand. Seine feinsinnigen Werke erinnern uns daran, wie sehr Empfindsamkeit und Gestaltungslust die Essenz unseres Handwerks sind.
2007 kam Marie Wilhelm ins Team. Schon als Kind hat sie mit Spass Brigitte beim Bedienen geholfen. Die Arbeit mit Kunden bleibt ihr Arbeitsschwerpunkt. Dazu kommen aber immer mehr Verwaltungsaufgaben.
Von 2000 bis 2012 engagierte sich Mark Wilhelm im Vorstand des SVGB und als Co-Präsident für die Öffnung und Entwicklung des Geigenbauerverbands.
10'er Jahre
2011 veranstalteten wir einen international besetzten Workshop, in dem es um die Substitution von Ebenholz ging. Aber es ging auch um Liebe: Boris Haug und Marie Wilhelm fanden sich- und so wurde Boris zum Teil der Familie und zum festen Mitarbeiter.
2012 feierte die Wilhelm Geigenbau AG das 50 Jahr-Jubiläum mit dem Bau einer Geigenbühne. Der lauschige Ort wurde vom Publikum und von den MusikerInnen sofort ins Herz geschlossen. Was ursprünglich für eine kurze Zeit geplant war, ist zum Teil des Suhrer Kulturlebens geworden.
Ebenfalls 2012 startete der von Wilhelm-Geigenbau initierte und geförderte Aargauische Kammermusiksalon. Er findet halbjährlich statt und hat schon viele musikalische Begegnungen ermöglicht.
mehr Raum
2014 konnte Wilhelm Geigenbau das Nachbarhaus erwerben, es heisst jetzt "Wendihaus" nach seinem Vorbesitzer. Im Untergeschoss richteten wir eine Neubauwerkstatt ein. Dort stehen auch die CNC-Fräsen. Im Parterre haben wir Platz für Sitzungen und Workshops. Auf den Dächern wird Strom produziert.
2017 starb Brigitte mitten aus ihrem erfüllten Leben. Sie war der Werkstatt auch im Ruhestand mit ihrer klugen Anteilnahme eng verbunden.
Dem guten Geist der Gründer geben wir Platz. Die starke Vision von Rolf und Brigitte trägt weiter.
Jüngere Entwicklungen
Der Raubbau an Tropenhölzern und Möglichkeiten zum Ersatz im Geigenbau beschäftigen uns schon lange. Seit 2015 sind wir Entwicklungspartner von Swiss wood solutions, In zahlreichen Versuchen und in den von uns veranstalteten international besetzten Workshops haben wir geholfen, die Anwendung dieses faszinierenden neuen Materials im Geigenbau zu standardisieren und zu propagieren.
2017 haben wir eine grosse CNC-Fräse installiert, mit der wir selber Saitenhalter und Griffbretter fräsen.
Seit 2020 fräsen wir auch sämtliche Stege.
Seit 2022 scannen wir selber. Futter, abgeschlagene Ränder, Wurmstellen: Wo früher bei Reparaturen die Substanz des Originals angegriffen wurde, arbeiten wir heute weitgehend verlustfrei.
Ganz von Hand werden unsere neuen Instrumente gebaut. Der Neubau ist in der Verantwortung von Boris Haug, das Team ist beteiligt. Die Instrumente erhalten ein sehr gutes Echo und werden in einigen professionellen Orchestern gespielt.
ein grosses Netz
Im Lauf der Jahre kamen Geigenbauerinnen je für einige Jahre in unsere Werkstatt. Sie kamen aus der Schweiz, England, Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich und weiteren Ländern und brachten im Lauf der Jahre Anregungen und Wissen nach Suhr. Dank ihnen sind wir mit der internationalen Geigenbauerwelt gut vernetzt.
Eine unvollständige Aufzählung:
David Aprile, Sara Bandlow, Cédric Bessire, Jürg Buchwalder, Friederike Dangel, Agathe Darfeuille, Simone Escher, Daniel Heer, Felix Hefti, Klaus Hess, Angela Hünig, Philipp Ihle, Pierre Louis, Dominik Meyer, Georg Morgenstern, Claudia Mössinger, Tomoko Murai, Matthias Ockermüller, Anne Poland, Matthias Pulver, Anna Reber, Till Riecke, Patricia Rockenbauer, Christian Sager, Antonietta Spina, Niklaus von Arb, Michael Wenzel, Florian Zinkhahn.
Die ökologische Agenda
Schon seit 1976 produziert unsere Solaranlage zuverlässig Warmwassser. Seit 1987 wird das ganze Haus mit einer Holzzentralheizung beheizt. Seit 2022 produziert die grosse Photovoltaikanlage auf dem Wendihaus Strom.
Der grosse Garten rund um die Gebäulichkeiten ist der Biodiversität gewidmet und dient der gesunden Ernährung der Mitarbeitenden. Regine Kern plant und betreut ihn.